Der Unterricht an einer christlichen Schule soll nicht nur Wissen vermitteln, sondern unter die Haut gehen und Haltungen prägen. Wie dies geschehen kann, durften wir kürzlich Dank einer jungen Frau aus Indien erleben, die wegen der Coronakrise in der Schweiz gestrandet ist. WAH – Wirtschaft, Arbeit und Haushalt ist ein neues Fach, welches mit dem Lehrplan 21 eingeführt wurde. Auf der Oberstufe haben wir uns demzufolge drei Wirtschaftssysteme angeschaut, sie mit dem Auftrag Gottes an die Menschen aus 1. Mose 26 bis 29 verglichen und uns gefragt, welches der Systeme diesem Auftrag wohl am nächsten käme und warum.
Das Fazit war, dass das in Deutschland entstandene Prinzip der sozialen Marktwirtschaft diesen Auftrag am besten beschreibt und es zum Auftrag einer Regierung und deren Bevölkerung macht: wir sind zum Herrschen (Schützen, Bewahren, Umsorgen) der Schöpfung berufen. Entsprechend sollen wir uns um die Natur, die Firmen und Geschäfte, unsere Familien und natürlich um unseren Nächsten kümmern.
Der Lockdown erfasste uns mitten in diesen spannenden Fragen und hatte zur Folge, dass wir uns weiter Gedanken über die Folgen des Virus und die Weltwirtschaft, oder zumindest diejenige in der Schweiz machen mussten. Persönliche Betroffenheit in einem Unterrichtsfach zu schaffen, garantiert meiner Erfahrung nach den grössten Lernerfolg.
Ich lud unseren Lehrer für Weltanschauung ein, der uns an diesem Morgen zusammen mit der indischen Studentin Seema besuchte. Die beiden erklärten uns den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Weltanschauung unter anderem auch anhand von Seemas Leben, der die Rückkehr nach Hause aus bekannten Gründen (Reiseeinschränkungen wegen Corona) versagt blieb.
Mit Seema bekam der theoretische Teil unseres Unterrichts ein Gesicht: eine kleine, zierliche Frau mit schwarzen Haaren und einer leichten Baumwolljacke stand in unserem Schulzimmer und erzählte uns von ihrem herausfordernden Leben und den globalen Zusammenhängen.
Dass Indien und der asiatische Teil unserer Welt zudem als Textilindustriehochburg der Welt mit all den schlimmen Arbeitsbedingungen gilt, hatten wir in einer Doppellektion eine Woche früher unter die Lupe genommen. Nun, da Seema aus einem von dieser Arbeitsmoral betroffenen Gebiet der Erde in unserem Land weilte, ohne Geld, ohne Kontakt zu ihren Eltern oder Geschwistern und an Einsamkeit und Ungewissheit leidend, liess mich über den Abschluss dieser Unterrichtseinheit nachdenken: mein Unterricht soll Wissen und Kompetenzen vermitteln. Wissen ohne Liebe gilt nichts, so Paulus. Wie also kann ich als Lehrerin mit einer entsprechenden Aufgabenstellung meine SchülerInnen mit ihrem angeeigneten Wissen zu Barmherzigkeit und Mitgefühl hin erziehen und bilden?
Ich liess meine Jungs und Mädels Seema je eine Karte schreiben – mit all dem Wissen, welches sie sich über Wirtschaftssysteme, deren Funktion und Folgen, dem Einfluss des Virus auf Seemas Leben angeeignet hatten und dem Wissen, dass Gott von uns Barmherzigkeit und Mitgefühl für unseren Nächsten fordert.
Das Lesen der Karten zeigte mir auf, dass wir auf dem richtigen Weg sind, denn das ist christlicher Unterricht: er muss meine Haltung und die meiner SchülerInnen so beeinflussen, dass sich 1. Mose 1, 26 bis 29 in meinem und ihrem Leben konkret zeigen kann. Alles andere bleibt schlussendlich nur totes Wissen.